Gut gepolstert: Warum weibliches Design in Arbeits- und Lebenswelten boomt

Das Sofa der Zukunft soll an eine warme Steppdecke erinnern, weil es uns in der rauen Welt Schutz bieten soll. Sagte die Niederländerin und bekannteste Trendforscherin der Welt, „Li“ Edelkoort, vor einem Jahr (Focus 16/2020, S. 122).

Lidewij Edelkoort
Lidewij Edelkoort
Die Sehnsucht nach einem gepolsterten Leben in einer kälter werdenden Welt zeigt sich auch im gegenwärtigen Matratzenboom. Davon abgeleitet sind Kissen, Polsterstühle oder Sofas. Hier lassen wir uns umso tiefer fallen, wenn uns die Welt draußen buchstäblich nicht mehr hält. Wie kaum ein anderes Möbelstück erleben wir hier unsere Eingesunkenheit zwischen Träumen und Wachen.
Die bekannteste Couch der Welt ist die von Sigmund Freud. 2006 wurde ihr zum 150. Geburtstag des Psychoanalytikers sogar eine Ausstellung gewidmet. „Es war, als öffnete die Couch mit ihren üppigen Kurven, dicken Polstern und bauschigen Kissen einen eigenen Raum innerhalb des Wohnzimmers.“
An diesem Rückzugsort findet man(n) Ruhe oder „ein kommunikatives Miteinander“. In Kunst und Literatur tauchen textile Architekturen wie Kissen und Matratzen immer wieder in verschiedenen Weiblichkeitsfantasien oder Phantasmen zum (weiblichen) Körper auf.

Gemütlich, nachhaltig und behaglich

Im Sammelband „Matratze/Matrize. Möblierung von Subjekt und Gesellschaft“ (transcript Verlag) von Irene Nierhaus und Kathrin Heinz finden sich dazu etliche Beispiele. Als „weibliches Design“ gelten rund geformte Sofas. Freud und andere Psychologen entdeckten, dass etwas mit Frauen und Männern geschieht, wenn sie sich auf eine Couch sinken lassen: Sie verwandelt sich in ein Schiff, „das in die Welt hinaussegelt“.
Zudem vermittelt sie Behaglichkeit und fungiert gleichzeitig als Durchlass zur Welt und weitschweifigen Gedanken. Das Sofa ist für viele das geschützte „Mehr“ im persönlichen Raum, das eine Gegenwelt zum unendlichen „Meer“ der Digitalisierung und zunehmenden Komplexität darstellt.
Beim Kauf persönlicher Liegewelten wird zunehmend nicht nur auf eine gute Polsterung, sondern auch auf folgende Aspekte geachtet: die Verbindung von Emotion und Individualität Handwerk, Funktionalität und ökologische Verträglichkeit beste und faire Qualität der Textilien natürliche Farben. Da Wohntextilien direkten Hautkontakt haben, achten immer mehr Menschen darauf, dass sie frei von Schadstoffen sind. Das bestätigt die Nachhaltigkeits- und Kommunikationsexpertin Claudia Silber.

Faire und soziale Handels- und Arbeitsbedingungen

g-o-t-s-siegelKriterien, auf die beim Kauf geachtet werden sollte, finden sich auf Nachhaltigkeitsportalen wie memolife. Hier wird beispielsweise auf GOTS-zertifizierte oder mit Fairtrade Cotton ausgezeichnete Textilien verwiesen, die faire und soziale Handels- und Arbeitsbedingungen in der Produktion versprechen. Gemütlichkeit und Nachhaltigkeit müssen sich nicht ausschließen. Mit „Kissen für Sofa und Sessel, oder mit einer Wohndecke aus weicher Bio-Baumwolle“ kann man(n) sich „an kühlen Abenden so richtig schön einkuscheln“, heißt es auf der Website.

Von der Blauen Blume zum Blauen Sofa: Business-Romantik

„Einladende“ Möbel ziehen auch verstärkt in moderne Bürowelten ein. „Li“ Edelkoort sagt voraus, dass in Zukunft Erdtöne – braun bis Ocker – eine größere Rolle spielen werden. Auch die Signalfarbe rot findet sich häufig in Büros. Schwarz hat es allerdings schwer, weil damit Bedrohung und Pessimismus assoziiert werden.

Edith Stork
Edith Stork
Für die Aufräum- und Einrichtungsexpertin Edith Storck spielt die Farbe Blau im Büro eine wichtige Rolle: Seit 1962 sammelt sie alles darüber. Auf die Frage „Was ist für Sie eine blaue Welt?“ antwortet sie auf der Website Gesichter der Nachhaltigkeit, dass „Es blaut die Nacht“ (Händels Arie der Cleopatra) ihre erste liebste Bläue, gesungen von Felicitas Palmer, ist. Auch die blauen Gedichte von Else Lasker-Schüler, “Mein blaues Klavier“, gehören für sie dazu, ebenso das Azurgottesblau von Chagall oder die blaugekritzelten Badewannen von Jan Fabre: „Es gibt etwa 15.000 Blaus auf unserem blauen Planeten. Bücher, die das Blau zitieren, Ausstellungen dazu in Heidelberg…“
Die Farbe Blau hat für das Auge eine sonderbare Wirkung, weil sie als Farbe eine starke Energie hat: „Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint eine blaue Ferne vor uns zurückzuweichen – wie wir einen angenehmen Gegenstand gern verfolgen, so sehen wir das Blau gerne an. Das schrieb Goethe in seiner Farbenlehre.“

Die Blaue Couch

Gabi Fischer u. Conny Glooger auf der Blauen Couch | Bild: BR
Gabi Fischer u. Conny Glooger | Bild: BR
All dies prägt auch ihr Büro. Es ist spartanisch eingerichtet, mit quadratischem Tisch mit einer Schublade „für den Krimskrams und Stifte“, ein bis drei Besucherstühle aus verschiedenen Epochen der Bürowelt, ein ergonomisch gut gemachter Bürostuhl, eine fahrbare PC-Konsole, um den Arbeitstisch zu „befreien“, ein Regal von Boden bis zur Decke für Ordner sowie Bücher und andere Sammlungen: „An der freien Wand steht ein Blaues Sofa (!) zweisitzig und auf einem Beistelltisch eine italienische Kaffeemaschine.



Auch beim Bayerischen Rundfunk gibt es „Die Blaue Couch“ – eine Radiosendung mit den Moderatorinnen Gabi Fischer und Conny Glogger sonntags auf Bayern 1. Die Blaue Couch ist aus blauem Leder, auf den Polstern ist das Bayern 1-Logo. Sie steht in der Bayern 1-Redaktion, direkt vor dem Sendestudio. Viele namhafte Zeitgenossen haben hier schon zum Interview Platz genommen: Schauspieler, Sänger, Politiker, Wirtschaftsführer, Wissenschaftler, Publizisten oder Spitzensportler.
tim-lebebrechtAll diese Beispiele zeigen, dass jedes Zeitalter eigene Formen, Formate und Farben hervorbringt. Unsre Aufgabe ist es, die uns umgebende neue Welt mit unsren heutigen Mitteln und Möglichkeiten neu zu gestalten. Die Zukunft scheint weiblich und „blau“ zu sein. Das ist übrigens auch die Farbe des Buchcovers von Tim Leberecht, der den Bestseller „Business-Romantiker“ (Droemer) geschrieben hat.
Im 18. Jahrhundert wurde Blau zur Lieblings- und Sehnsuchtsfarbe: Novalis erfand die Blaue Blume, und der englische Spätromantiker Lord Byron dichtete: „Roll on, thou deep and dark blue ocean …“ Von dieser tieferen Warte aus lassen sich gute Gründe für einen gelasseneren Blick auf die Zukunft finden – auch wenn es zuweilen schwer fällt in einer immer dunkler werdenden Gegenwart.
Weitere Informationen
Abdrücke hinterlassen und Fühlung aufnehmen: Was Medien und Matratzen heute verbindet
Literaturempfehlungen
Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Droemer Verlag, München 2020.
Dr. Alexandra Hildebrandt: Mit kleinen Schritten die Welt verbessern: Nachhaltig denken und handeln von A bis Z. Amazon Media EU S.à r.l., Kindle Edition 2020.
Irene Nierhaus / Kathrin Heinz (Hg.): Matratze/Matrize. Möblierung von Subjekt und Gesellschaft. Konzepte in Kunst und Architektur. transcript Verlag, Bielefeld 2020.


Copyright Steffi Henn
Copyright Steffi Henn
Autorin Dr. Alexandra Hildebrandt ist Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie von 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“. Alexandra Hildebrandt ist Sachbuchautorin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Mitinitiatorin der Initiative www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de. Sie bloggt regelmäßig für die Huffington Post zu Nachhaltigkeitsthemen und ist Co-Publisherin der Zeitschrift „REVUE. Magazine for the Next Society”.

Das könnte Sie auch interessieren

Im Herzen des Onlinehandels: Die sanfte (R)evolution.

Der Business-Vordenker und Autor des Bestsellers „Business-Romantiker“, Tim Leberecht, bemerkte kürzlich in einem Interview mit etailment, dass es angemessen scheint, auch Gefühle wieder verstärkt in einer Zeit zuzulassen, „in der sich viele auf der vermeintlichen Sicherheit der Daten ausruhen“. Die Zukunft ist zu komplex, um sie noch berechnen zu können. Deshalb müssen wir sie „erträumen, …

Continue reading „Im Herzen des Onlinehandels: Die sanfte (R)evolution.“

0 Kommentare

Zeit für Motivation. Mehr Zeit statt Geld.

Das Büro ist aufgeräumt, ein paar letzte Mails verschickt, der Laptop klappt zu und bleibt es für einige Monate. Die Arbeit wird erst einmal eine Zeit lang hinter sich gelassen, endlich Zeit für das eigene Projekt oder die lang geplante Reise. Es gibt wohl kaum Arbeitnehmer, für die diese Vorstellung nicht verlockend erscheint. Tatsache ist: …

Continue reading „Zeit für Motivation. Mehr Zeit statt Geld.“

0 Kommentare

Hand(eln) ohne Täuschung: Darum brauchen wir auch im Digitalisierungszeitalter berührende Erfahrungen

„Wer Worte macht, tut wenig, seid versichert; Die Hände brauchen wir und nicht die Zungen.“ (Shakespeare) Wer sein Unternehmen haptisch prägt, befindet sich auf dem besten Weg zu einem sinnlichen Unternehmen, sagt der Marketingexperte und Autor Karl Werner Schmitz. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Europa-Kampagne der Deutschen Telekom mit dem Star-Tenor Andrea Bocelli. Die …

Continue reading „Hand(eln) ohne Täuschung: Darum brauchen wir auch im Digitalisierungszeitalter berührende Erfahrungen“

0 Kommentare

Schönes Skandinavien: Ein „erlesener“ Wegweiser zu Dingen und Orten.

Alles, was wirklich wichtig ist, finden wir im „Schönen Skandinavien“. Das gleichnamige Buch von Kajsa Kinsella, die 1974 im Süden Schwedens geboren wurde, ist nicht einfach nur ein unterhaltsamer sommerlicher Begleiter, sondern auch ein kluger Wegweiser zu Dingen und Orten, die eine Art Beziehungsgewebe schaffen zu unserem Leben hier und heute. Die skandinavischen Länder gehören …

Continue reading „Schönes Skandinavien: Ein „erlesener“ Wegweiser zu Dingen und Orten.“

0 Kommentare

Packt Euren Rucksack leicht. Das ist Minimalismus der Nachhaltigkeit.

„Ich neige sehr dazu, aus dem Rucksack zu leben und Fransen an den Hosen zu haben“, schreibt Hermann Hesse in seinem Bändchen „Wanderung“, das 1920, mitten in der wirtschaftlichen Depression, in Berlin erschien. Die Erzählung beruht auf Wanderungen, die er zwischen 1916 und 1918 von Bern aus übernommen hat. Rucksackwanderungen, die damals zum Lebensstil gehörten, …

Continue reading „Packt Euren Rucksack leicht. Das ist Minimalismus der Nachhaltigkeit.“

0 Kommentare

Wie Wandern ganz besondere Gefühle in uns wecken kann

Vieles ist heute in die virtuelle Welt „abgewandert“. Und weil „Digital der neue Standard“ (Andre Wilkens) ist, werden physische Orte mit Dingen, die man mit allen Sinnen erleben und anderen physisch begegnen kann, besonders. Es verwundert deshalb nicht, dass immer mehr Menschen das Wandern für sich entdecken. Der Deutsche Alpenverein verzeichnete 2012 den größten Zulauf …

Continue reading „Wie Wandern ganz besondere Gefühle in uns wecken kann“

0 Kommentare

Der neue Ingenieur als idealer Mitarbeiter – Worauf es künftig ankommt

Spezialkenntnisse können im Komplexitätszeitalter sehr schnell veralten, sagt Prof. Henning Kagermann, der auch die Bundesregierung zu Industrie 4.0 berät. Das Thema erfordert Fortbildung, Qualifizierung, Prozess- und Medienkompetenz gleichermaßen. Der habilitierte Physiker ist ehemaliger Vorstandsprecher der SAP AG und seit 2009 Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die unabhängige, gemeinwohlorientierte und wissenschaftsbasierte Politik- und …

Continue reading „Der neue Ingenieur als idealer Mitarbeiter – Worauf es künftig ankommt“

0 Kommentare

Wie wir mit gelebter Aufmerksamkeit die Verbindung zu anderen stärken

Wer anfängt, sich in Achtsamkeit zu üben, stellt fest, wie tief verankert Multitasking schon in uns ist. Wie selten konzentrieren wir uns beim Essen wirklich nur auf das Essen, beim Gehen nur auf das Gehen und beim Zuhören erst… Achtsamkeitsübungen helfen uns, ganz bei uns zu sein, was immer auch die äußere Situation sein mag. …

Continue reading „Wie wir mit gelebter Aufmerksamkeit die Verbindung zu anderen stärken“

0 Kommentare

Der lange Weg zur Achtsamkeit oder warum Achtsamkeit so stressig ist.

Achtsamkeit ist ein schönes Wort, es hat etwas Sanftes, Behutsames – „Achtsam…“, aufeinander achten, liebevoll mit sich und anderen umgehen… hach…. Aber es hat auch etwas Hartes „…keit“. Und über dieses „-keit“ stolpert man, beim Versuch achtsam zu sein. Dieses „-keit“ nervt, frustriert, bringt Zweifel oder verlockt, alles andere zu tun, nur nicht achtsam zu …

Continue reading „Der lange Weg zur Achtsamkeit oder warum Achtsamkeit so stressig ist.“

Wer Yang sagt, sollte auch Yin sagen. Über die besondere Magie von Yin Yoga.

Ich bin nach jahrelanger Yogapraxis auf Yin Yoga gestoßen und es hat mich verzaubert. In diesem Artikel möchte ich dir erzählen warum: Wenn du normalerweise Vinyasa, Hatha Flow, Power, Ashtanga oder einen ähnlichen Yogastil praktizierst, wirst du dich in deiner ersten Yin Yoga – Stunde sicherlich über so einiges wundern. Diese eben genannten, bekanntesten und …

Continue reading „Wer Yang sagt, sollte auch Yin sagen. Über die besondere Magie von Yin Yoga.“

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert