Verstehen durch verändern. Wie es möglich ist, globale Krisen zu lösen.

In Krisenzeiten komme Stiftungen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zu, sagte Markus Hipp, Geschäftsführender Vorstand der BMW Stiftung, im November 2020 anlässlich des „1st Berlin Global Forum“: „Es geht heute für uns nicht nur darum, über Probleme zu reden, sondern auch Teilnehmer zu finden, die sich handfest engagieren wollen.“ Handfest – das bedeutet: begreifbar, sofort und zupackend. Das „Problem“ ist nur, dass unsere komplexe Gesellschaft heute vielfach wie ein kompliziertes System behandelt wird – vorhersehbar und kontrollierbar. Ein gravierender Denkfehler!
Der Business- und Organisationsexperte Niels Pfläging verweist zu Recht darauf, dass nur der Mensch auf dieser Welt in der Lage ist, mit (beobachtbarer, aber nicht kontrollierbarer) Komplexität umzugehen. Dabei geht es nicht darum, wie ein Problem gelöst wird, sondern wer es kann: „Menschen mit Können und Ideen.“

Copyright (Fotos BMW Stiftung): Claudia Leisinger
Copyright (Fotos BMW Stiftung): Claudia Leisinger
Können hat für ihn mit der menschliche Fähigkeit zu tun, „neue, bisher unbekannte Probleme zu lösen.“ Dies kann allerdings nur durch „disziplinierte Praxis“ (Üben) entwickelt werden. In seinem Buch „Organisation für Komplexität“ plädiert er dafür, dass Organisationen Rahmenbedingungen und Foren schaffen sollten, die individuelles Können als sinnvolle Möglichkeit fördern, Probleme in komplexem Umfeld zu lösen. Neue Ansätze für Problemlösungen In Zeiten globaler Krisen und wechselseitiger Abhängigkeiten führen herkömmliche Denk- und Dialogmuster nicht (mehr) zu nachhaltigen Lösungen.

Das Konzept des BMW Foundation Global Table

Statt kleinteiliger nationaler Debatten braucht es übergreifende Ansätze. Genau das versuchte das 1st Berlin Global Forum in einer 360°-Grad-Perspektive zu zeigen. Es ist das Konzept des BMW Foundation Global Table – übertragen auf einen Tag und ein viel größeres Publikum. Auch wenn die Veranstaltung schon einige Monate zurückliegt, so ist die Substanz, die sie hinterlassen hat, noch fruchtbar. Ja, sie ist sogar weiter „gediehen“.
Michael Schaefer, Vorstandsvorsitzender der BMW Stiftung, drückte es während des Forums so aus: „Im 21. Jahrhundert brauchen wir einen systemischen Wandel und komplett neue Ansätze, um Probleme zu lösen.“ Unter dem Titel „BMW Foundation Global Table“ versammelte die BMW Stiftung Herbert Quandt Ende 2020 Entscheider aus der ganzen Welt zu einem strategischen Dialog über Grenzen, Sektoren und Generationen hinweg.
Der Dialog wurde in China und Italien 2020 begonnen und ein Jahr später in Brasilien, Polen und Tansania fortgeführt. Das „1st Berlin Global Forum“ war der Höhepunkt des ersten Zyklus dieser Veranstaltungsreihe. Drei Schlüsselthemen standen hier im Fokus: Energiesicherheit in Europa, Chinas „Neue Seidenstraße“ und die Bedeutung der Flüchtlingskrise.

Copyright (Fotos BMW Stiftung): Claudia Leisinger
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Geladen waren Gäste aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Menschen aus 35 Ländern, darunter Ghana, Frankreich, Kirgisistan, USA, Indien, China, Brasilien, Iran und Syrien, Politiker wie Kanzleramtschef Peter Altmaier und der bulgarische Präsident Rosen Plewneliew, Wirtschaftsvertreter wie BMW-Aufsichtsratschef Norbert Reithofer sowie die Investorin Frannie Léautier aus Tansania.

Ja zur Integration von Flüchtlingen

Und Muhamad Ghrayeb sowie seine Frau Esraa Owiedat aus Syrien, die an diesem Tag der Debatte über die aktuelle Flüchtlingskrise ein Gesicht gaben. Der Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Peter Altmeier verwies in seiner Auftaktrede auf die strategische Entscheidung der Bundesregierung:
„Verstecken wir uns hinter anderen, warten ab, wie sich die Krise entwickelt und verteidigen die nationale Souveränität so gut es geht. Oder treffen wir eine mutige Entscheidung, die auch andere inspiriert?“
Diesen umstrittenen Kurs verteidigte er mit klaren Worten: „Wir sind in einer Situation, in der wir ‚Ja‘ zur Integration von Flüchtlingen sagen müssen, die für eine bestimmte Zeit in Deutschland bleiben wollen – oder für immer.“ Menschen in Lebensgefahr zu helfen, sei kein europäischer Wert, sondern ein universeller. Egal, wie lange jemand bleibe: Es gehe stets darum, Flüchtlingen eine Perspektive zur Integration aufzuzeigen.

Gemeinsame Verantwortung in Krisenzeiten

Auch Rosen Plewneliew, Präsident von Bulgarien, plädierte in seinem Impulsvortrag für Solidarität in Krisenzeiten und gemeinsame Verantwortung: „Wenn wir heute im Herzen Europas unsere Grenzen dicht machen und mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Flüchtlinge vorgehen, dann steht die EU im Widerspruch zu ihren eigenen Regeln und Werten und zu ihrer Identität.“

Copyright (Fotos BMW Stiftung): Claudia Leisinger
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Dafür seien Vertrauen, Transparenz, Dialogbereitschaft und geteilte Verantwortung unverzichtbar. Beim Thema Flüchtlinge kristallisierte sich heraus, dass Migration fest verankert ist in der Menschheitsgeschichte. Sie sollte als „etwas Natürliches, nicht als Ausnahmezustand, betrachtet werden. Dies gilt nicht zuletzt für die Berichterstattung in den Medien, die zurzeit eher von Hysterie geprägt ist als von sachlichen Argumenten“, sagt Maja Heinrich, Project Manager Communication and Media bei der BMW Foundation Herbert Quandt.
Sie war auch maßgeblich am aktuell erschienenen Buch „BMW Foundation Global Table 2020/15“ beteiligt, das die Diskussionen der fünf „runden Tische“ zu den Themen Ressourcensicherheit, Energie, Umwelt, Migration und Governance-Fragen zusammenfasst und zeigt, dass wir nur verändern können, was wir auch „handfest“ verstehen.

Emotionale Kopplung ohne die sachliche Identifikation

Dafür braucht es die richtigen Instrumentarien. Manchmal sind es Bücher. Auch wenn Niels Pfläging beim Schreiben seiner „Komplexithoden“ die Flüchtlingsdebatte im Kapitel „Dringlichkeitsarbeit“ möglicherweise nicht vor Augen hatte, so liegt der Vergleich nahe, denn sie erfordert ebenfalls Hirn und Herz und kann nicht ausschließlich emotional und sachlich geführt werden, denn: „Wird die Sachlichkeit umarmt, während emotionale Kopplung fehlt, dann ist die Sache vielleicht wichtig, aber die Energie dafür, Veränderung gemeinsam durchzustehen, wird kaum aufgebracht werden. Gibt es umgekehrt emotionale Kopplung ohne die sachliche Identifikation, sind Verebbung und Versandung wahrscheinlich.“ Das „1st Berlin Global Forum“ zeigte, dass Dringlichkeit gemeinsame Bilder von Change erfordert – trotz aller Unterschiede der beteiligten Akteure.
Die BMW Stiftung Herbert Quandt ist überzeugt, dass so Barrieren zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft abgebaut werden und die Gemeinschaft von der kreativen Vielfalt profitiert, die sich aus der grenzübergreifenden Zusammenarbeit ergibt. „Entscheidend ist, vielfältige kommunikative Angebote zu machen, um Anschlussfähigkeit an die Dringlichkeit zu ermöglichen.“ (Niels Pfläging)

  • 1st Berlin Global Forum | Retrospect
  • BMW Stiftung Herbert Quandt: BMW Foundation Global Table 2020/15, Verlag Herder Gmbh, Freiburg i. Brei. 2020
  • Niels Pfläging: Organisation für Komplexität. Redline Verlag, München 2020
  • Niels Pfläging und Silke Hermann: Komplexithoden. Clevere Wege zur (WiederBelebung) von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag, München 2020.

 
Dr. Hildebrandt_Foto Autorin Dr. Alexandra Hildebrandt ist Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin. Sie studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Buchwissenschaft. Anschließend war sie viele Jahre in oberen Führungspositionen der Wirtschaft tätig. Bis 2009 arbeitete sie als Leiterin Gesellschaftspolitik und Kommunikation bei der KarstadtQuelle AG (Arcandor). Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war sie von 2010 bis 2013 Mitglied der DFB-Kommission Nachhaltigkeit. Den Deutschen Industrie- und Handelskammertag unterstützte sie bei der Konzeption und Durchführung des Zertifikatslehrgangs „CSR-Manager (IHK)“. Alexandra Hildebrandt ist Sachbuchautorin, Hochschuldozentin, Herausgeberin und Mitinitiatorin der Initiative www.gesichter-der-nachhaltigkeit.de. Sie bloggt regelmäßig für die Huffington Post zu Nachhaltigkeitsthemen und ist Co-Publisherin der Zeitschrift „REVUE. Magazine for the Next Society”.

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